Ein Besuch in der Zukunft – das Experiment Wendelstein 7-X

Während die Boomer-Generation in ihren technischen Magazinen von tausenden kleinen Atomreaktoren im Alltag träumte, der Abfall für diese Magazine aber kein Thema war, ist  für die Generationen X, Y und Z die Kernfusion von Star Trek der Traum der Zukunft. In Greifswald wird an dieser Zukunft geforscht. Grund genug, dass das Netzwerk lokale Lebenskultur e.V. – Verein zur Integrativen StadtLand-Entwicklung eine Exkursion unternahm.

Am 10. Juni konnten zehn Interessierte über den Verein einen Blick in die Zukunft wagen. Auch wenn die Bäume auf dem Parkplatz keinen professionellen Eindruck machten, ein extra Bau für ein Experiment sieht beeindruckend aus. Allein 3 Flügel für die Wissenschaft, Verwaltung und Abrechnung und eine große Experiment-Halle mit davor liegenden Montage- und Zwischenlagerbereich, sowie ein NASA-like Controll-Center stehen vor den Toren der Stadt direkt neben einem Einkaufsmarkt.

Vor der Tür verformtes Metall wie ein Möbiusband, im Eingang noch ein Metall-Donut und dann dieses „flatternde Geschenkband“ hinter der Büste von Max Planck haben also mit Plasma-Physik zu tun. Ziemlich weit weg von Gewichten, Linsen und Magneten aus dem Physikunterricht?!

Ein sehr inhaltsreicher Vortrag von Dr. Andreas Langenberg bringt sprichwörtlich das berühmte Licht ins Dunkel: Um Kerne zum Fusionieren zu bringen, also die Abstoßungskraft zu überwinden, braucht es verdammt hohe Temperaturen (ca. 150 Mio. Grad Celsius) und kein Material kann als „Topf“ sowas aushalten. Für Physiker ist die beste Dämmung (aka Isolation) immer noch ein sehr reines Vakuum. Dann fließt das Plasma und damit es nicht zu kurz fließt, baut man einen Kreis! Eigentlich ganz einfach. Nur dass man für diese Umgebung diverse starke Magnete braucht, damit das Plasma nicht „aneckt“. Also werden statt Neodym dann Elektro-Spulen um den Ring geschlungen, diese dann bitte auch supraleitend, sprich nahe am absoluten Nullpunkt, damit überhaupt mal ein Experiment starten kann. Wahnsinn!

Als Ergebnis soll dann doch noch Energie erzeugt werden? Kaum vorstellbar! Aber die Diagramme zeigen die Vorteile der Energiegewinnung gegenüber der Kernspaltung, 5x mal mehr Energie! 

Stellt sich die Frage nach den Ausgangsstoffen: Was braucht es und gibt’s genug auf der Erde? In Greifwald besteht der Treibstoff aus Deuterium und Tritium (beides Isotope des Wasserstoffes, mit 1 und 2 Neutronen). Diese sind theoretisch ausreichend verfügbar, Deuterium im Wasser und Tritium kann aus Lithium gebrütet werden. Wenn man 3.000 kW/h Stromverbrauch einer Familie annimmt, dann könnte eine Wanne Wasser und ein alter Laptopakku diese Familie 50 Jahre mit Strom versorgen! Das ist schon mal top!

Natürlich wurde auch die Gefahr von Strahlung bzw. verstrahlten Abfall thematisiert. Tritium hat eine Halbwertzeit von 12 Jahren. Ja, auch hier könnten Neutronen Bauteile aktivieren, konkret den Kobalt im Stahl, deshalb wird mit fast kobaltfreien Stahl gearbeitet. Und eine unkontrollierbare Kettenreaktion wie in Tschernobyl oder Fukushima kann nicht stattfinden, man kann die Wasserstoff-Zufuhr einfach abdrehen, dann fehlt dem Plasma der Treibstoff.

Scheint, als wären alle Probleme damit gelöst, oder? Okay, bleibt die letzte Frage: Warum haben wir noch kein Kraftwerk? Nun, bisher ist es noch viel Theorie und deshalb ist Wendelstein 7-X auch immer noch Grundlagenforschung. Der „Donut“ ist sprichwörtlich gespickt mit diversen Injektionsröhren für Messinstrumente und Kameras.  Es fehlt noch die praktische Umsetzung eines lange laufenden Plasmas und dann auch noch etwas Wirtschaftlichkeit.

Und damit sind wir beim Q-Faktor, nein nicht der Typ aus Star Trek. Der Faktor zeigt, dass es technisch möglich ist, dass mehr Fusionsenergie entsteht, als Heizenergie aufgewendet wird. Aber noch sind alle Experimente erst auf dem Weg dahin. (Lästerer sagen, seit Jahrzehnten wieder von 20 Jahren gesprochen). Es gibt Fortschritte. Bisher sind die Projekte mit gepulsten Plasma, also vom Typ „Tokamak, wie z.B.: ITER näher Ziel dran, aber wenn es dann funktioniert, dann könnte der „Stellator“ von Greifswald kontinuierlich arbeiten. Am 10. Dezember 2015 wurde das erste Mal Plasma in Greifwald erzeugt, noch ohne Wasserkühlung der Divertoren. Aktuell wird die Wasserkühlung gefüllt, zum Ende des Jahres könnte ein neuer Test starten. Ziel ist es, in Greifswald einmal für 30 Minuten das Plasma laufen zu lassen.

Ach, wenn es dann mal den Reaktor in Kühlschrankgröße gibt, ich nehme einen. ☺

Yvonne Rowoldt

PS: Das Zeitraffervideo vom Zusammenbau (https://www.ipp.mpg.de/115632/zeitraffer_w7x) ist beeindruckend!

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